„Unsere Trauer ist eine Sache der ganzen Stadt“
Leise Violoncello-Musik füllte die Stille im Dom. Gerade hatte Pastoralreferentin Verena Maria Kitz die Menschen dazu eingeladen, die Namen ihrer lieben Verstorbenen laut auszusprechen – und noch war ein Zögern zu spüren, noch hatte niemand den Anfang gemacht. Doch plötzlich war da eine Stimme, gedämpft durch die Maske: „Hermann.“. Dann folgten weitere, die sich von überall aus dem Kirchenschiff mit den Namen von an Corona Verstorbenen zu Wort meldeten: „Elisabeth.“ „Barbara.“ „Ahmed.“
Anlässlich des bundesweiten Corona-Totengedenkens am 18. April hat die Katholische Stadtkirche Frankfurt am Samstagabend im Dom an die vielen Menschen erinnert, die seit Ausbruch der Pandemie an und mit Corona gestorben sind. 685 sind es seit März 2020 (Stand 16. April 2021) – und fast täglich kommen neue Todesfälle dazu.Doch die Zahlen allein können das Leid nicht aufzeigen, das hinter jedem einzelnen Verlust steht. Dafür braucht es Geschichten, Identitäten, Namen eben.
Deshalb sollten im Dom vor allem jene zu Wort kommen, die jemanden verloren haben oder die täglich mit dem Elend der Krankheit konfrontiert sind. „Wir leben in dem Glauben, dass unsere Namen bei Gott verzeichnet sind“, sagte Verena Maria Kitz, Leiterin des Zentrums für Trauerseelsorge St. Michael, die den Gottesdienst gemeinsam mit Stadtdekan Johannes zu Eltz leitete.
Jemand hat die Entscheidung abgenommen
Einer dieser Namen ist Hans Georg Heinz aus Hausen. Seine Witwe Helena Heinz sprach mit vor Trauer brüchiger Stimme bei der Gedenkfeier über ihren Mann, mit dem sie 51 Jahre verheiratet war: „Der 3. Februar 2021 ist ein Tag, den ich – solange ich lebe – wohl nicht mehr vergessen werde und seit dieser Zeit ist auch nichts mehr wie es war. Mein Mann war einer der Todesfälle, die in den Nachrichten täglich als mit oder an Corona verstorben, gezählt werden.“ Hans Georg Heinz lebte zuletzt im Pflegeheim, als Risikopatient musste er sich die meiste Zeit in seinem Zimmer aufhalten, allein und mit nur wenigen Kontakten nach außen, unter strengsten Hygieneauflagen. „Unsere Kinder konnten ihrem Vater und Opi nur zuwinken, wenn er auf dem Balkon war.“ Doch trotz aller Sicherheitsvorkehrungen infizierte er sich mit dem Virus, kam ins Krankenhaus. „Nach drei Tagen, am 3. Februar, bekam ich einen Anruf von dort. Sein Zustand hatte sich verschlechtert und ich sollte entscheiden, ob ich der künstlichen Beatmung zustimme.“ Für die Ehefrau eine sehr schwere Entscheidung, kannte sie doch die Bilder der Schwerstkranken auf den Intensivstationen, deren Leid oft nur verlängert, aber nicht mehr gelindert wird. Zugleich wollte sie ihrem Mann helfen und stimmte schließlich schweren Herzens zu. Doch zur künstlichen Beatmung kam es nicht mehr: „Nach etwa zwei Stunden kam der Anruf, dass mein Mann es nicht mehr bis auf die Intensivstation geschafft hatte. Sofort wurde mir klar, dass mir ein anderer, wer immer es auch sein mag, die Entscheidung abgenommen hatte.“
„Wir wissen, dass viele nicht mehr aufwachen“
Auch Thilo Teichmann, seit 26 Jahren Fachkrankenpfleger für Intensiv- und Anästhesiemedizin auf der Corona Intensivstation der Uniklinik Frankfurt, sprach bei der Gedenkfeier. „Wir versuchen immer, die Patienten so lange wie möglich vor einer künstlichen Beatmung zu bewahren, aber leider packen das viele nicht und sie brauchen doch Beatmung. Dann muss intubiert werden, die Patienten werden in ein künstliches Koma versetzt.“ Es war spürbar, wie sehr es ihn bewegte, als er berichtete: „Oft sind dann die Pflegenden die Letzten, mit denen diese Patienten sprechen. Wir machen dann Mut und wünschen ,angenehme Träume‘ oder ,Bald wecken wir Sie wieder auf!‘. Aber wir wissen, dass sehr viele nicht mehr aufwachen und den Kampf gegen Corona verlieren und sterben.“
Vertrauen trägt durch schwierige Zeiten
Sabine Bruder von der Klinikseelsorge am Uniklinikum erzählte auch im Namen ihrer Kollegin Beate Bendel aus dem Klinikum Höchst davon, wie sich die Rolle der Seelsorge durch die Besuchsbeschränkungen in der Pandemie verändert hat: „Wir haben nun oft eine Brückenfunktion. Wir können stellvertretend für die Familie, für Freundinnen und Freunde an die Betten treten, begleiten und da sein und können den Kontakt nach draußen herstellen – und umgekehrt. Dazu sind wir öfter beim Telefonieren behilflich, versuchen Telefonate mit Bild zu ermöglichen oder eine gesprochene Nachricht einem Menschen im Koma vorzuspielen.“ Trotzdem könne die seelsorgliche Begleitung nicht das ersetzen, was Vertrautheit schenkt. „Das ist gerade für sterbende Menschen schwer. Und doch vertraue ich darauf, dass Gott die Gedanken und Gebete der liebenden Menschen zu ihrem Schwerkranken und Sterbenden bringt, auf welchen Wegen auch immer. Dieses Vertrauen trägt auch mich in diesen schwierigen Zeiten“, sagte Sabine Bruder.
Ein Licht scheint auf die Namen
Ein zentrales Element der Gedenkfeier waren die über 350 Karten derökumenischen Aktion „Namentliches Gedenken an Corona-Verstorbene“ von katholischer Stadtkirche Frankfurt und Evangelischer Kirche in Frankfurt und Offenbach, auf die Hinterbliebene in den vergangenen Wochen die Namen von der Verstorbenen geschrieben hatten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtkirche hatten die vielen, vielen Klappkarten auf den Stufen zum Altar aufgestellt, dazwischen brannten Kerzen. Am morgigen Sonntag werden sie beim evangelischen Gedenkgottesdienst in der Diakonissenkirche aufgestellt und danach in guter ökumenischer Zusammenarbeit im Zentrum für Trauerseelsorge aufbewahrt.
Das Projekt wurde von Andreas Böss-Ostendorf, Krankenhaus-Seelsorger im Nordwest-Krankenhaus und in der Kranken- und Altenseelsorge in Sankt Marien tätig, angestoßen und von einer kleinen Gruppe entwickelt, darunter einige Klinikseelsorger*innen. Vor allem Verena Kitz (Trauerzentrum St. Michael), Jörg Harald Werron (punctum) und Pfarrerin Silke Peters (evangelische Stadtkirche) haben für die konkrete Umsetzung gesorgt.
Die katholische und evangelische Kirche in Frankfurt stehen in der Pandemie eng zusammen mit der Stadt. Das unterstrich auch die Anwesenheit von Bürgermeister Uwe Becker (CDU) bei der Gedenkfeier im Dom. Stadtdekan Johannes zu Eltz fand passende Worte dafür: „Dass Bürgermeister Becker gekommen ist, zeigt, dass unsere Trauer eine Sache der ganzen Stadt ist – danke!“.