Memento Mori - Weil der Tod kein Fremder ist
Die Hitze sei ihr am meisten in Erinnerung geblieben, sagt Patricia Fritzsche. Als sie vor dem Ofen im Krematorium stand, habe sie schon den Wunsch gehabt, wegzusehen, fortzugehen – „doch ich habe mich bewusst entschieden, dazubleiben und hinzuschauen.“ Denn der Tod und auch das, was danach mit dem Körper passiert, sagt die 45-jährige Frankfurterin, sei in der Gesellschaft doch allzu oft noch ein Tabu-Thema.
Patricia Fritzsche hat das Krematorium im Rahmen des Ausbildungskurses „Tote bestatten, Trauernde trösten“ besucht. Seit Mai 2023 sind elf Menschen aus dem Bistum Limburg in neun Modulen für den ehrenamtlichen Bestattungs- und Begleitungsdienst qualifiziert worden, im März wurden sie nach elfmonatiger Ausbildung feierlich entsandt. Patricia Fritzsche sowie acht weitere Frauen und zwei Männer haben viel Zeit investiert, Abende, aber auch oft ganze Tage und sogar Wochenenden, um sich auf ihre Einsätze vorzubereiten. Themen waren (natürlich) Trauer an sich und eine mögliche Begleitung, eigene Erfahrungen mit Sterben, Tod und Trauer, die Grenze des Lebens in der Bibel, Gesprächsführung, theologische Grundlagen und die eigene Rolle in der Begleitung, Prävention, seelische Krisen und erschwerte Trauer, aber auch Vernetzung mit Fachdiensten, Beerdigungsrituale und Trauer von Kindern und Jugendlichen.
Zuhören, wenn alle anderen schon nicht mehr wollen
Nach Abschluss des Kurses, der erstmals Bistumsweit stattgefunden hat, können die Ausgebildeten nun in zwei Bereichen eingesetzt werden. Gut die Hälfte der Kursteilnehmer:innen möchte in der Trauerbegleitung mitarbeiten, die andere Hälfte im Bestattungsdienst aktiv sein. Für Patricia Fritzsche stand von Anfang an fest, mit welchem Ziel sie in den Kurs geht: „Ich möchte Menschen einen Platz zum Reden geben, wenn es schon keiner aus dem Umfeld mehr hören kann.“ Schon seit mehr als einem Jahr engagiert sie sich im Zentrum für Trauerseelsorge im Nordend beim monatlich stattfindenden Trauercafé und ist dort ansprechbar für alle, die jemanden verloren haben. „Mein Vater ist 2016 gestorben, und meine eigene Trauer konnte ich mit Hilfe einer Trauerbegleitung bewältigen“, erklärt die Soziologin aus Bornheim und zweifache Mutter. Sie hat beobachtet: „Trauer wird in unserer Gesellschaft toleriert, aber leider nur ein paar Wochen lang. Danach gibt es schon die Erwartung, dass man wieder funktioniert, wieder arbeitet.“
Der Tod gehört zum Leben. Ich möchte Menschen einen würdigen Abschied ermöglichen.
Kursteilnehmerin Conny
Für sie stand fest: Trauer muss mehr Raum bekommen – auf unterschiedliche Weisen. Nun, da ihre Ausbildung abgeschlossen ist, will sie im Trauerzentrum auch selbst Angebote entwickeln und vermutlich sechs bis acht Stunden pro Monat an ehrenamtlicher Arbeit investieren. „Ich könnte mir gut vorstellen, etwas anzubieten, bei dem man mit den Händen arbeitet, zum Beispiel Steine bemalt oder Trauerkisten baut“, sagt sie. Die Ideen der Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler würden im Trauerzentrum stets geschätzt, hier gäbe es viel Raum, um sich kreativ einzubringen, freut sie sich.
Praktische Übung für Arbeit mit Trauernden
Wichtig: Nicht alle der elf Kursabsolvent:innen sind katholisch – manche stehen der Kirche sogar kritisch gegenüber. „Das wurde im Rahmen der Ausbildung sehr gut aufgefangen; alle konnten frei entscheiden, ob sie sich zum Beispiel mit Bibelstellen auseinandersetzen wollten“, erzählt Doris Wiese-Gutheil, die als Journalistin lange für die Katholische Stadtkirche in Frankfurt gearbeitet hat. „Schon als ich noch berufstätig war, habe ich häufiger bei Beerdigungen gesprochen und gemerkt, dass das etwas ist, was ich gerne mache“, sagt sie. Es tue gut, wenn es gelinge, das „Wesentliche eines Lebens in wenigen Sätzen zu charakterisieren, sodass die Hinterbliebenen Trost daraus ziehen können“. Nachdem sie 2020 in Rente ging, war deshalb klar, dass sie sich ehrenamtlich im Bestattungsdienst engagieren wollte. „Sehr unterstützt gefühlt habe ich mich dabei von Rebecca Hafner, Pastoralreferentin in meiner Pfarrei St. Franziskus, und auch von Pfarrer Hans Mayer, der meinem ehrenamtlichen Dienst aufgeschlossen gegenübersteht“, sagt sie.
Ich möchte Menschen in einer Lebensphase des Abschieds ein Stück begleiten.
Kursteilnehmerin Angelika
Teil der Ausbildung war es, bei Bestattungen zu hospitieren, das brachte, ebenso wie die praktische Erfahrung bei Gesprächen mit Angehörigen zur Vorbereitung der Trauerrede, viel für die spätere Arbeit. In Erinnerung geblieben ist auch ihr der Besuch im Krematorium und die Beobachtung, dass es schwer fiel, dabeizusein und es auszuhalten, dass ein Körper verbrannt wird. Beeindruckt hat sie, mit wie viel Engagement und Offenheit die Referent:innen der einzelnen Module die Lernenden an ihrem Wissen teilhaben ließen.
Erwartung ist heute eine andere
Beide haben erkannt, dass Traueransprache heute anders funktioniert. Angebote in der Trauerbegleitung müssen kreativ sein, interessant, meint Patricia Fritzsche. Und was Trauerfeiern betrifft, erwarten Hinterbliebene heute Anderes als noch vor einigen Jahren – vermutlich, weil freie Trauerredner:innen losgelöst vom Glauben sehr persönliche Zeremonien anbieten. „Früher hat der Pfarrer bei der katholischen Beerdigung das Evangelium ausgelegt, das musste Trost genug sein“, so Doris Wiese-Gutheil.
Ich bin dankbar für die vielen Einblicke und Details, die ich in diesem Kurs gewinnen durfte, und freue mich auf meine kommenden Aufgaben in der Trauerarbeit.
Kursteilnehmer Olaf
Heute sei alles viel mehr auf den Verstorbenen und seine Familie ausgerichtet. Sie hat deshalb auch genaue Vorstellungen vom Anspruch an ihre eigene Bestattungsarbeit, die sie künftig in einem Rotationssystem wochenweise mit den hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern in der Pfarrei St. Franziskus verrichten wird, zwei bis drei Wochen pro Quartal: „Den Trauernden helfen, indem man den Menschen in den Mittelpunkt stellt, würdigt, Respekt vor der Lebensleistung des Verstorbenen zeigt -- diesem Wunsch nachzukommen, kann viel Trost spenden“, glaubt Wiese-Gutheil.
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INTERVIEW
Memento mori – Sterblichkeit als Teil des Lebens
Verena Maria Kitz ist Leiterin des Zentrums für Trauerseelsorge im Frankfurter Nordend und hat den Kurs „Tote bestatten, Trauernde trösten“ gemeinsam mit Dr. Susanne Gorges-Braunwarth, Abteilungsleiterin Pastorale Dienste im Bistum Limburg, koordiniert. Im Interview beleuchtet Kitz die „Faszination Tod“ – und erklärt, welche Chancen ein verstärkter Einsatz von Ehrenamtlern in der Trauer- und Bestattungsarbeit bietet.
Der erste Ausbildungskurs „Tote bestatten, Trauernde trösten“ war ausgebucht, das Interesse an Trauerbegleitung und Bestattungsdienst scheint groß zu sein. Warum spricht das Thema Tod so viele Menschen an? Und mit welcher Motivation engagieren Menschen sich in einem solchen ja sicher nicht immer einfachen Ehrenamt?
VERENA MARIA KITZ: Das Interesse an diesem Bereich ist wirklich groß und das hat zum einen mit persönlichen Gründen, zum anderen auch mit gesellschaftlichen, bzw. globalen Entwicklungen zu tun. Oft führt eine persönliche Erfahrung mit Tod und Trauer Menschen dazu, sich für andere einzusetzen. Sie haben selbst erlebt, wie gut eine Begleitung unterstützen kann und möchten das auch anderen ermöglichen. Außerdem ist durch die Jahre der Pandemie und auch die aktuellen Kriege vielen Menschen deutlicher geworden: Sterben, Tod und Trauer sind Teil des Lebens und es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, auch mit der christlichen Hoffnung, die über den Tod hinaus weist.
Elf Menschen haben den Kurs im März abgeschlossen, neun davon sind Frauen, nur zwei Männer. Ist das Thema Tod ein „weibliches“ Thema – und wenn ja, warum?
VERENA MARIA KITZ: Das Thema „Tod“ ist bestimmt nicht nur ein weibliches Thema – der Tod macht bekanntlich keine Unterschiede, auch wenn Frauen in der Regel ein paar Jahre länger leben als Männer. Aber Frauen übernehmen auch sonst bisher viel von den sogenannten „Care-Aufgaben“, also Pflege und Begleitung von Menschen. Aber da ist auch viel in Bewegung. Mit dem „Trauer-Tresen“ hat mein Kollege Ralph Messer gerade ein etwas anderes Angebot für Männer in Trauer gestartet. Und auch für den neuen Kurs in der Trauerbegleitung interessieren sich schon jetzt einige Männer.
In Zeiten von Priester- und Personalmangel spielen Ehrenamtler eine große Rolle fürs Aufrechterhalten kirchlicher Angebote wie Trauerbegleitung und Beerdigungen. Können Angebote wie der Kurs ausreichend ehrenamtliche Helfer:innen akquirieren – oder müssten es noch viel mehr sein?
VERENA MARIA KITZ: Vorweg: Es geht mit dem Ausbildungskurs in der Trauerbegleitung und Begräbnisleitung nicht in erster Linie darum, „Lücken zu stopfen“, die durch den Mangel an Hauptamtlichen entstehen. Wir erleben vielmehr, dass Menschen, deren Berufsleben von anderen Aufgaben geprägt ist, entdecken: Sie haben Begabungen und Stärken in diesem Feld rund um Tod und Trauer, teils auch durch eigene Erfahrungen damit. Einige sind zudem schon im Bekanntenkreis oder in ihrer Pfarrei gefragt worden: um Begleitung in der Trauer oder um ihre Unterstützung bei Trauerfeiern. So entwickelt sich eine Bereitschaft, dieses ihr Charisma, ihre Begabung auch anderen zur Verfügung zu stellen. In Rücksprache mit der jeweiligen Pfarrei oder dem Zentrum für Trauerseelsorge kann gemeinsam über eine Teilnahme am Kurs entschieden werden. Ich sehe darin auch eine große Chance für mehr Vielfalt des kirchlichen Angebots und wirklich so etwas wie einen Hinweis Gottes an die Kirche, diese Begabungen zum Zug kommen zu lassen - in einer Gesellschaft, die immer pluraler wird. Die Erfahrungen m Zentrum für Trauerseelsorge und in den Pfarreien, in denen sich bereits Ehrenamtliche in diesem Feld engagieren, sind sehr positiv.
Soll der Kurs erneut angeboten werden, vielleicht sogar im regelmäßigen Turnus? Gibt es schon einen neuen Starttermin?
VERENA MARIA KITZ: Wir werten derzeit die Erfahrungen des gerade abgeschlossenen Kurses aus und planen damit für den Spät-Herbst 2024 einen weiteren Kurs anzubieten. Es gibt schon eine ganze Reihe Interessierter, so dass der Kurs auf jeden Fall stattfinden wird – und nach den Erfahrungen auch aus anderen Bistümern damit wird es wohl nicht der letzte sein.