Espresso ohne Zucker – Trauer in der Weihnachtszeit
Funkelnde Lichter, Geschenke, gemeinsam den Gottesdienst besuchen und dann besonders fein zusammen essen – für viele Menschen ist Weihnachten ein Fest des glücklichen Zusammenseins. Doch wie fühlt sich das an, wenn man in Trauer ist? „Anders“, sagt Ursula Kunzler. Sie hat im Sommer ihren Schwiegersohn (28) verloren. „Er war ein besonderer, zartfühlender Mensch, so jung und idealistisch. Für mich war er eine Art Herzensfreund. Meine Tochter hat sich oft darüber gewundert, wie ähnlich wir uns waren.“
Den ersten Weihnachtsfeiertag verbrachten die Tochter und ihr Mann immer bei Ursula Kunzler und ihrem Mann. „Meist kam mein Schwiegersohn zum Kochen dazu und hat uns geholfen, nach dem Essen sind wir spazieren gegangen oder haben etwas anderes unternommen. Vergangenes Jahr waren wir im Kino, in der ,Eiskönigin‘ – auch solche Sachen hat er mitgemacht“, erzählt sie, lächelnd bei der Erinnerung. Nun muss die Familie neu überlegen, wie sie den ersten Weihnachtsfeiertag gestaltet. Denn klar ist: „Wir können und wollen nicht so tun, als ob wir nur zu viert wären – denn es fehlt jemand.“
So still, so friedlich
Familie Kunzler ist konfrontiert mit der Frage, wie sie das erste Weihnachten ohne Schwiegersohn verbringen wird. Vielleicht wird ein Teller dazugestellt, der leer bleibt, oder eine Kerze der Erinnerung angezündet. Möglich, dass auch das Kuscheltier dabei sein wird, das seine Freunde zur Erinnerung mit auf einen Matschlauf genommen haben, für den der Schwiegersohn sich noch angemeldet hatte, dann aber nicht mehr teilnehmen konnte. Und nach dem Essen vielleicht ein Besuch auf dem Hauptfriedhof? Der Schwiegersohn ist woanders bestattet, aber die Stimmung auf dem Hauptfriedhof ist so schön, so still, so friedlich.
„Wir haben noch nicht darüber geredet, wie wir es in diesem Jahr machen“, so Ursula Kunzler. Weil allen in ihrer Familie klar ist, dass es diesmal anders sein wird, leerer, schmerzhaft. „Ich habe Angst vor dem ersten Weihnachtsfeiertag“, sagt sie. „Angst, dass es schwer werden könnte. Aber es ist auch eine gute Gelegenheit, als Familie darüber zu sprechen und an ihn zu denken.“
„Der verstorbene Mensch fehlt, das wird immer wieder schmerzlich spürbar“, sagt Verena Maria Kitz, Leiterin des Zentrums für Trauerseelsorge in Frankfurt, die Trauernde begleitet. Sie weiß, dass es vor allem diese besonderen Tage wie Weihnachten, Geburtstage, Hochzeitstag oder Kennenlerntag sind, die durch den Tod des geliebten Menschen plötzlich anders sind. „Wenn es möglich ist, hilft es, gemeinsam oder mit einem vertrauten Menschen zu überlegen: Wie möchte ich den Tag verbringen? Was passt für mich? Möchte ich tun, was wir gemeinsam getan haben – oder soll es gerade ganz anders sein?“, sagt sie. Dabei ist es wichtig, offen für alle Möglichkeiten zu sein. Wie eine Familie, die im ersten Jahr nach dem Tod des Vaters ganz bewusst über Weihnachten in die Sonne geflogen ist. Denn Weihnachten zu Hause, ohne den Vater, das ging für sie gar nicht. Anderen wie einer Frau, deren Mann verstorben ist, tut es hingegen gut, gemeinsame Bräuche weiterzuführen, weil sie sich ihrem Mann dann ganz nah fühlt.
„Alle sind dünnhäutig durch die Trauer“
Sich besprechen, einander Raum lassen, akzeptieren, dass nicht jedem das Gleiche gut tut: „Vielleicht möchten nicht alle mitgehen auf den Friedhof, oder sie wünschen sich ein anderes Essen als sonst, sind auf einmal ganz fromm oder gerade gar nicht – das ist nicht leicht, weil alle so dünnhäutig sind durch die Trauer“, sagt Verena Kitz. „Vielleicht hilft die Haltung: Wir versuchen es jetzt dieses Jahr mal so – und schauen dann im nächsten Jahr neu.“ Wenn es nicht geht, kann es helfen, als Familie oder Gruppe darüber zu sprechen, zusammen eine Form zu finden – oder eben auch für sich allein Zeit an den Feiertagen zu reservieren, um auf ganz persönliche Weise an den verstorbenen Menschen zu denken.
Auch Ursula Kunzler hat die Erfahrung gemacht, dass jede und jeder Trauer anders verarbeitet – und jeder Feiertag, jeder Jahrestag neu gedacht werden muss. Der erste Geburtstag des Verstorbenen ohne ihn, das erste Mal Allerseelen, das erste Weihnachtsfest und der Jahreswechsel. „Zu Allerseelen sind alle Freunde mit in den Gottesdienst gekommen, die Kapelle war voll“, berichtet sie. „Gemeinschaft ist tröstlich, kirchliche Strukturen sind für mich tröstlich.“ Auch Gespräche mit Verena Maria Kitz vom Zentrum für Trauerseelsorge haben ihr sehr geholfen, ebenso wie Gespräche mit einer Bekannten, die vor kurzem ihren Mann verloren hat. Ihre Tochter besucht eine Trauergruppe und empfindet das Singen im Chor als großen Trost. Und noch etwas gibt Ursula Kunzler Kraft: „Seit dem Tod meines Schwiegersohns verzichte ich auf Zucker im Espresso, obwohl, nein, weil ich den Kaffee sehr gerne süß trinke.“ Für sie ist es eine Möglichkeit, bewusst an ihn zu denken, eine kleine Variante, der Trauer Struktur zu geben. Und sich nicht ganz so hilflos zu fühlen.
Ernst, karg und melancholisch
Der Advent fühle sich in diesem Jahr aber nicht anders an, sagt sie. Das liege vor allem daran, dass sie schon lange einen anderen Zugang zur Adventszeit habe – einen eher ernsten, kargen, melancholischen. „In der dunkelsten Jahreszeit steht da die Krippe, in ihr das nackte, schutzlose Kind – und ein Auftrag von Gott, es zu beschützen“, sagt sie nachdenklich. „All der vorweihnachtliche Glanz, den viele so mögen, überdeckt das für mich nur.“ Aus dem gleichen Grund meidet sie seit dem Tod ihres Schwiegersohns Sonntagsgottesdienste, besucht die Kirche lieber werktags oder in den frühen Morgenstunden. Besonders aufgehoben fühlt sie sich in der Trauerkirche St. Michael, der Trauergottesdienst dort sei wie ein Anker jede Woche gewesen. Auch in der ersten schlimmen Zeit, als sie dachte, sie kriege vor Trauer keine Luft. „In St. Michael werden nur einzelne Lichter entzündet, die gegen die Dunkelheit kämpfen. Das hat etwas so Tröstliches und passt für mich zur Adventszeit – generell können Trauer und Advent gut zusammen gehen.“
Besonders mag sie das Adventslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ von Jochen Klepper, das dieses Gefühl für sie gut transportiert. Dort heißt es: „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“